Zucht / Künstliche Besamung

Der Bock ist die halbe Herde – was aber, wenn Inzucht droht?

Höhere Milchleistung bei gleicher Kraftfuttergabe – das kann einen Betrieb in die Rentabilität führen. In Deutschland wird das noch wenig berücksichtigt, Kraftfutter war günstig. So blieb hier die Milchleistung der Ziegen gleich wie vor 100 Jahren, während Betriebe in Frankreich, der Schweiz und den Niederlanden auf einem ganz anderen Niveau produzieren.

In der Schweiz finden jedes Herbstwochenende unzählige regionale Zuchtschauen statt, bei denen Ziegen und Böcke prämiert werden und Kontakte unter den Züchtern entstehen, die dann auch zur Anschaffung eines gekörten Bockes führen. Einer gestand mir: “Es ist unglaublich, wie schnell sich die Leistung meiner Herde mit einem guten Bock verbessern hat!“

Im Nordosten Deutschlands pflegen wir solche professionellen Netzwerke noch nicht; die eigenen Ziegen an Schauen zu fahren, erscheint uns riskant, beschwerlich und überflüssig. Könnte künstliche Besamung diese Kontakte ersetzen?

Eine französische Untersuchung in 114 Betrieben mit durchschnittlich 200 Ziegen zeigte einen Leistungszuwachs von 710 Liter auf 910 Liter innert 2-3 Jahren (wo 45% der Herde Töchter aus künstlicher Besamung sind) – bei gleicher Kraftfuttergabe.

Künstliche Besamung

Quellen:

Peter Fischer war Leiter der Besamungsstation für Schafe und Ziegen am Institut für Fortpflanzung landwirtschaftlicher Nutztiere Schönow e.V. (Brandenburg) bis 2006 . Er führte 20.000 Besamungen an Ziegen und Schafen durch und dokumentierte seine Erfahrungen und Erkenntnisse daraus. Nachzulesen sind sie u.a. im Lehrbuch der künstlichen Besamung bei Haus- und Nutztieren von Walter Busch (2007). Auf Peter Fischers mündliche und schriftliche Mitteilungen stützt sich dieser Text und auf einen Text, der die französische Praxis beschreibt: Guide des bonnes practiques de l’insémination caprine (2004).

Hygiene:

Die zur Samenabgabe zertifizierten Böcke wurden zuvor auf alle denkbaren Krankheiten getestet, d.h. der Samen selbst ist gesund und es werden durch die Besamung selbst keine Krankheiten in der Herde verbreitet, beispielsweise indem sich der Bock an einer Ziege ansteckt und diese Infektion in der ganzen Herde verbreitet. Denn CAE kann sich so sehr schnell verbreiten, da es lange ohne sichtbare Anzeichen bleibt.

Nachkommenschaftsprüfung:

Nur jene Böcke werden als Spender zugelassen, die sich zuvor durch eine herausragende Milchleistung ihrer Töchter qualifizieren. Auch die Bocksmutter muss über mehrere Jahre eine hohe Milchleistung erbracht haben. Zuchtziel sind Ziegen, die bei hoher Grundfutteraufnahme viel Milch geben, fruchtbar, widerstandsfähig und langlebig sind, mit guter Bemuskelung und harmonischem Körperbau.

Grenzen:

Künstliche Besamung ist auch in Frankreich nur zu 60% erfolgreich, deshalb schliesst man zu junge Ziegen aus und solche, die älter sind als 4 Jahre. Eine erneute Besamung soll nicht früher als 170 Tage nach der Ablammung erfolgen.

Standort-Nachteile:

Ziegenleute in Deutschland werden benachteiligt; sie können Ziegensperma nur aus dem Ausland beziehen und finden hier keine Strukturen mehr, die sie unterstützen. Das einzige deutsche Institut für Fortpflanzung landwirtschaftlicher Nutztiere in Schönow/Brandenburg schloss 2006 seine Abteilung zur Besamung von Kleinwiederkäuern. Künstliche Besamung erfordert Planung, Kenntnisse und exaktes Vorgehen. In Frankreich hingegen gibt es 18 regionale Kooperativen, die den Milchziegenbetrieben bei der Besamung helfen. Das zentrale Institut Capgenes liefert auf Anfrage einen Katalog der Rasse-Böcke mit Bild und Leistungsmerkmalen (e-mail: capgenes(at)capgenes.com.) Ähnlich organisiert ist dies in der Schweiz.

Kosten:

Sperma eines Superbocks kostet in Frankreich pro Portion 35,- Euro. Der Transport in einem Stickstoffbehälter nach Deutschland ca. 170,- Euro (darin haben x Portionen Platz). Inzwischen wird dies mehr kosten. Cristina Perincioli hat dies zweimal probiert. Es hat nie gefruchtet. Es bleibt unklar, wo die Fehler passierten.

Brunstsynchronisierung

Vorteile:

Eine vorher bestimmte und synchronisierte Gruppe kann an einem einzigen Tag von einer Fachperson besamt werden – das ist wichtig, wenn Externe nötig sind. Die Ablammung dieser Gruppe ist dann ebenso in einem engen Zeitfenster zu erwarten. Altershomogene Lämmergruppen liessen sich besser aufziehen, heisst es. Der ganze Bestand kann in Gruppen unterteilt und deren Ablammzeit versetzt geplant werden, so dass der Betrieb immer Milch liefern kann.

Schwierigkeiten:

Beim Natursprung findet der Bock selbst den richtigen Zeitpunkt für die Besamung, resp. die Ziege bleibt nur dann beim Aufspringen stehen, wenn sie aufnahmebereit ist. Dagegen erfordert künstliche Besamung gute Planung und genaues Vorgehen, um eben diesen Zeitpunkt zu treffen. Die Brunst dauert 3 Tage, empfängnisbereit ist sie am 2. und 3.Tag. (Fischer: ab Mitte bis Ende) „Wiederholte Brunstsynchronisationen unter Einsatz von Gestagenen und follikelstimulierenden Hormonen wirken sich teilweise negativ auf die Reproduktionsleistung der Ziegen aus. Insbesondere konnte gezeigt werden, dass eine grössere Zahl von brunstsynchronisierten Ziegen entweder nicht auf die Brunstsynchronisation ansprach oder bei wiederholter Brunstsynchronisation eine sinkende Konzeptionsbereitschaft erkennen liess.“ (P.Summermatter Erkenntnisse aus der Ziegenbesamung, 1987).

Methoden der Brunstsynchronisierung

a.) In Frankreich setzt man jeder Ziege einer Gruppe einen Vaginalschwamm (es gibt extra kleine Schwämme für Jungziegen) mit Progesteron Nach 9 Tagen erhält jede ausserdem eine Spritze mit CG (?) und eine weitere Spritze mit Cloprostenol. Am 11. Tag – also 48 Stunden nach der Spritze – wird der Schwamm entfernt, am Tag darauf, dem 12. Tag beginnt die Brunst und am 13. Tag – genau 43 Stunden nach Entfernen des Schwamms – wird besamt.

b.) In der Schweiz werden CIDR-Spangen benutzt, das sind T-förmige progesteronimprägnierte Spangen, die dem Ziegengenital besser angepasst sind.

c.) Da die Zulassung dieser Medikamente in Deutschland nicht vorankommt, weil es bisher niemand finanzieren wollte, versuchen es Züchter hier mit:

d.) Homöopathische Globuli zur Brunstunterdrückung Agnus Castrus D4 bis 4 Tage vor dem geplanten Brunstbeginn in Kombination mit Brunstpulver von Dr. Schaette, das an 4 Tagen vor geplantem Brunstbeginn gegeben wird.

e.) Bockseffekt: Er wird ca. vier Wochen von der Gruppe (gerade auch geruchlich!) ferngehalten. Kommt er dann in ein benachbartes Abteil, tritt die Brunst relativ synchron ein: 71% am selben Tag und mit einer Befruchtunsrate von 71% (Peter Fischer). Bocks-Pheromene aus der Sprühflasche wären da noch praktischer. Peter Fischer berichtet, dass dieses Produkt bereits entwickelt wurde.

f.) Lichtregime: Ein längerer Dunkeltag löst Brunst aus. Beispielsweise lässt sich die Brunst im März auslösen, wenn man im Stall das Licht länger anlässt und dann schlagartig damit aufhört. Die Brunst setzt nach 30 Stunden ein.

g.) Erhöhung der Energiezufuhr um 30% über die Bedarfsnorm hat positive Wirkung auf die Gonadotropinausschüttung

h.) Nutzung von Suchböcken: Brunstinduktion durch Pheromonwirkung.

Vorbereitung zur Besamung

Vor jeder Besamung wird kontrolliert, ob die Ziege wirklich empfängnisbereit ist. Mittels Leuchtspekulum sieht man sich die Farbe des Muttermundes und die Beschaffenheit des Schleims an. Die Fotos A, B und C zeigen den Muttermund durch das Leuchtspekulum gesehen.

A Brunstbeginn (wenig Schleim)

B optimaler Besamungszeitpunkt, viel milchiges oder klares Zervikal-Sekret, Muttermund stark gerötet bis ziegelrot-bläulich.

C zu spät zum Besamen (käsiger Schleim).

Optimaler Besamungszeitpunkt beim Schaf, Abb. aus Salomon 1974

Der optimale Besamungszeitpunkt berücksichtigt die 6-8 Stunden, die die Samen benötigen, um zum Eileiter zu wandern, wo sie dann mit einem frisch ovulierten Ei zusammentreffen. Die Besamung sollte also 6-8 Stunden vor dem Eisprung erfolgen. Der optimale Besamungszeitpunkt ist demnach 12-24 Stunden nach Brunstbeginn. Es kann aber auch 30-36 Stunden später noch gelingen – je nach individuellem Verlauf.

Testkits um den Progesteronwert im Blut zu messen, und damit den Brunstbeginn, gibt es für Milchkühe, die auch bei Milchziegen eingesetzt werden können.

Ein Bock mit Bocksschürze oder mit Markierungsgerät kann ebenfalls die brünstige Ziege identifizieren. Den richtigen Zeitpunkt zur Besamung zeigt aber nicht der Bock, sondern die Ziege an. Der ist dann gekommen, wenn sie das Aufspringen duldet, den Hintern nicht wegdreht. Diesen Duldungsreflex könne man selbst testen durch Niederdrücken der Kruppe, die Ziege duckt sich dann nicht weg, sie „steht“.

Damit sich Trächtigkeit einstellt und hält, sollte man einen Monat vor und nach der Besamung den Ziegen jede Aufregung ersparen: Futterumstellung, neue Gruppenaufteilungen, Klauenschneiden, Entwurmen, Impfen und Transport. Das Futter sollte gutes Heu enthalten und nur wenig Kraftfutter – zuviel davon kann zum Abort führen.

Spekulum für Schaf/Ziege mit einer Taschenlampe im Griff. Bei jeder Untersuchung wird ein frisches Kunststoffrohr aufgesetzt.
Besamungspipetten

Beide Produkte speziell für Schafe und Ziegen sind erhältlich bei der Firma Minitube für Fortpflanzungstechnologie

Im Raum für die Besamung benötigt man eine saubere Ablage für die Instrumente, welche zum Schutz vor Fliegen mit einem Tuch abgedeckt werden. Benötigt werden:

  1. Zellstoff und Feindesinfektionsmittel
  2. Pinzette (Pailletten aus dem Container zu greifen)
  3. Cutter oder scharfe Schere (Pailletten zu öffnen)
  4. Eimer mit Wasserbad 38°C (darin Gefriersperma 9 Sek. auftauen)
  5. Thermometer (Wassertemperatur prüfen)
  6. Wasser, Seife, Handtuch
  7. Vaseline für das Spekulum (säurefrei, ohne Duftstoffe)
  8. Leuchtspekulum und Rohrstücke entsprechend Anzahl Ziegen
  9. Besamungsinstrument (gereinigt und desinfiziert)
  10. Temperiermöglichkeit für Instrument (Heizkissen)
  11. Dokumentationsmaterial

Beim Besamen ist es ratsam, dass die Ziege hinten erhöht steht, damit der Samen nicht gleich ausläuft. Man kann sie dazu beispielsweise über einen gepolsterten Balken legen.

Foto: Im diesem Festhaltestuhl sitzt der Haltende erhöht, so benötigt er weniger Kraft. (guide-bonne-pratique-ia-fr.pdf)

Besamungsvorgang

Die Besamung selbst ist für die Ziege ziemlich unangenehm. Deshalb achtet man darauf, dass dies an einem ruhigen, ihr vertrauten Ort stattfindet mit wenigen ihr vertrauten Menschen, die dem Besamer zur Hand gehen. Frauen sind als Besamerinnen erfolgreicher, Feingefühl hilft enorm.

Man führt das Spekulum mit interner Lichtquelle (z.B. Minitüb) unter leichtem Drehen in die Scheide der Ziege ein und fixiert damit den äusseren Muttermund. Durch die Röhre dieses Spekulums schiebt man die Besamungspinzette bis an den Muttermund heran, klopft dort ganz sanft an. Dann ruht die Pipette auf dem Muttermund 1-3 Minuten, bis er sich öffnet; das tut er nur, wenn die Ziege empfängnisbereit ist. Dann führt man die Besamungspipette sehr vorsichtig ein (Verletzungsgefahr!) in Richtung Gebährmutter ca. vier Zentimeter. Jeder überwundene Zervixring erhöht die Chancen einer Befruchtung um 10%.

Abb. Zervixkanal mit Zervixringen, 1 Scheide/Vagina; 1a Muttermund/Orificium uteri externum; 2 Gebärmutterkanal/Zervix; 3 Zervixfalten; 4 Gebärmutter/Uterus

Unter leichtem Zurückziehen des Besamungsinstruments wird das Sperma abgesetzt. Das Instrument wird dann vorsichtig herausgezogen und geprüft, ob es vollständig entleert wurde.

Nachbesamen

Ziegen, die 24 Stunden nach der Besamung immer noch Brunst zeigen, sollten erneut besamt werden. Flüssig konserviertes Sperma hält sich 24 Stunden, wenn es in dieser Zeit bei 4°C gelagert wurde. Fliesst weiss-gelblicher, käsiger Schleim aus, ist der Zeitpunkt vorbei. Jene, die nicht aufgenommen haben, werden nach 20 +/- 2Tagen wieder brünstig. Nach 35 Tagen kann man mit Ultraschall nichtinvasiv die Trächtigkeit überprüfen. Eine eingeführte Sonde könnte ein Abort provozieren.