Welche Haltung ist art-, also ziegengerecht?
Sicher ist, Ziegenhaltung hat sich in Europa seit dem letzten Weltkrieg vollkommen verändert.
Hüten
Das Thema „Hüten“ würde eigentlich zum Kapitel „Arbeit erleichtern > Füttern“ gehören; doch eine Arbeitserleichterung ist Hüten in der heutigen Landschaft meist nicht, sondern eher Luxus. Hüten fällt aber sicher unter die Rubrik „artgerechte Haltung“. In Alpbetrieben ist dies üblich – aber im deutschen Flachland? Ja! In Brandenburg gibt es gewaltige Flächen – verlassene Truppenübungsplätze der Sowjetarmee – die nun langsam verwalden. Sie können durch Ziegen offen gehalten werden.
Foto: Diese Heidelandschaft auf einem verlassenen Truppenübungsplatz pflegen die Ziegen von Hans Peter Dill.
Foto: Cristina Perincioli mit ihren Poitevine Ziegen
Cristina Perincioli: Der Sommer 2003 war so heiss, dass auf unseren Wiesen nichts mehr wuchs. Da empfahl mir der benachbarte Bauer, mit den Ziegen in das feuchtere Landschaftsschutzgebiet zu wandern. Dort schlugen sie sich die Pansen voll. Zuerst war es nicht einfach, sie auf den Weg zu bringen; sie ängstigten sich, das vertraute Gelände zu verlassen. Etwas später – im Herbst schliesslich – motivierten die Eicheln am Weg, jetzt liefen sie von selbst. Mein Vater kommentierte: Schon meine Uroma sei mit ihren Ziegen auf fremdes Land, habe allerdings zuvor die Glocken abgenommen!
Foto: Uroma Perincioli mit meinem Vater in der Hutte auf Futtersuche
Bis vor hundert Jahren waren Wegränder wohl das typische Weidegebiet der „Kuh der armen Frau“. Dass die Ziegen auf eigenen, immer gleichen Weiden grasen, ergab sich erst während des 20. Jahrhunderts. Entstand erst durch diese Reduktion auf immer dieselben, wenigen Weideflächen das Parasitenproblem?
Am Wegrand liegt die Apotheke der Ziege.
Foto: Beide Fotos enstammen dem Buch „The Mysterious Goat“ von Dr. C. Naaktgeboren mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Das Buch ist ein Bildband von über 300 Seiten, eine einmalige kulturhistorische Sammlung zum Zusammenleben von Mensch und Ziege.
Ein Wort zur Anbindehaltung
Hans Ramseier: Ich weiss nicht, wer das ins Tierschutzgesetz hineingeschrieben hat, dass Ziegen nur noch in Freilaufställen leben sollen – wir können die Tierli schliesslich nicht fragen, was ihnen lieber ist!
Warum gehen die Ziegen, wenn sie von der Weide reinkommen brav an ihren Platz – sie wissen ja, dass sie dann angebunden werden! Also macht es ihnen nichts aus. Die Schwächeren sind froh, dass man die Dominierenden anbindet, dann haben alle ihre Ruhe. In Freilaufställen haben die Schwächeren ein schweres Leben. Wir haben es ausprobiert. In dem Freilaufstall hat immer eine Glocke gebimmelt, immer rumorte eine, immer ist eine die beisst oder stösst. Der Raum müsste riesig sein, damit alle ausreichend Abstand haben.
Ausserdem: Das An- und Abbinden garantiert, dass wir jede täglich zweimal berühren. So werden sie zutraulich und so kann ich auch auf der Weide jede greifen, sei es Zicklein oder Ziege. Sie lecken meine Arme, vertrauen mir.
In einem Freilaufstall kann man nur schauen, aber eine anfassen – nicht ohne Rennerei! Dort wandern sie vom Futtertisch automatisch auf die Weide, dann kommen sie automatisch auf den Melkstand, wo sie von hinten gemolken werden und gehen automatisch in den Stall zurück: Der Kontakt Mensch-Ziege geht dabei verloren!
Geh ich auf eine Schau mit ihnen, dann heisst es, „ist wohl wieder eine Ramseier-Geiss“, weil sie schmust und sich streicheln lässt!